DIE ALPENÜBERQUERUNG – DER 7.TE REITTAG – Teil III – Die unendliche Geschichte…

Dieser Tag hat wirklich das Potential zur unendlichen Geschichte. Nachdem ich ziemlich erschrocken über mein verborgenes Aggressionspotential bin, beschließe ich, dass ich jetzt herunterfahren muss. Ich weiß, dass ich nie jemanden in Stich lassen werde, aber ich muss nicht grundsätzlich an vorderster Front für alle kämpfen.

Nach der Kaffeepause geht es zügig weiter, weil wir wissen, dass wir noch eine ziemliche Strecke zu bewältigen haben. Wir steigen auf und legen los. Soleo lahmt erneut und häufiger. Wann immer wir also Schritt gehen, steige ich ab um ihn zu entlasten, dies finde ich vor allem deshalb für sinnvoll, weil wir jetzt wieder nur auf Radwegen oder Straßen und somit Asphalt gehen. Ich glaube tatsächlich, dass ich noch nie soviel zu Fuß gegangen bin, wie in den vergangenen Tagen.

Mir persönlich scheint es gut getan zu haben, komplett auszurasten, weil ich jetzt wieder entspannt bin und mir diejenigen, die es nicht sind, aus dem Weg gehen. Was will man mehr?

Der Weg zieht sich schier endlos und manchmal hat man das Gefühl, dass die Straße nie aufhören wird. Was würde ich jetzt für einen Waldweg geben oder einen Trampelpfad, einen simplen Feldweg, egal, irgendetwas mit Aussicht auf Bäume und Berge und nicht Häuser und Hauptverkehrsstraßen. Vielleicht weiß man die Dinge erst dann zu schätzen, wenn man spürt wie es ohne sie ist. Erleichtert sehe ich, dass wir auf einen Kiesweg abbiegen und direkt auf eine Gondelbahn zureiten. Die Pferde sind total entspannt und es stört sie auch nicht, dass die riesigen Gondeln über ihren Köpfen davonschweben.

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Es geht weiter, jedoch ist die Freude über den schöneren Weg nicht von langer Dauer, denn bereits nach kurzer Zeit geht es wieder an der Straße entlang. Das Gefühl, das wir niemals an diesen See kommen und wahrscheinlich morgen noch auf diesem Radweg unterwegs sind, macht sich breit. Obwohl es ja klar war wo wir hinreiten, bin ich doch überrascht, als etwas kommt, dass mich sofort aufheitert. Wir reiten auf die Grenze zu und auf einmal sind wir in „BELLA ITALIA“. Einfach so, den Fahrradweg entlang und in Italien gelandet.

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Kaum zu glauben, wir haben es geschafft und sind zumindest schon mal in Südtirol angekommen. Blöd, dass mein erster Gedanke der ist, dass wir es bald geschafft haben und ich dann nach Hause fahren und wieder meine Ruhe haben kann. Solchen trübsinnigen Gedanken kann ich auch weiterhin wunderbar nachhängen, weil wir weiterhin endlos auf einem Radweg gehen und ich fest davon überzeugt bin, dass dies die road to nowhere ist. Die Freude in Südtirol zu sein ist immer noch vorhanden und ich rede mir gerade selber ein, dass es nicht mehr lang dauern kann. Mein positives Denken ist nicht sofort von Erfolg gekrönt, aber gerade als ich schon am Verzweifeln bin und beschließe mich jetzt einfach an den Straßenrand zu sitzen und dort zu bleiben, taucht er vor uns auf:

Der Reschensee

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Wir machen eine kurze Pause in der Klara telefoniert und müssen dann sofort weiter. Da ich hier schon einmal Urlaub gemacht habe, weiß ich, dass wir jetzt durch einen Touristenort kommen. Das bedeutet: Es gibt einen Spazierweg für Fußgänger und Fahrradfahrer und daneben eine Liegewiese. Die Zeit für die Liegewiese ist zwar jetzt vorbei, aber es ist das perfekte Wetter um den See zu genießen. Man merkt das, denn es sind viele Menschen unterwegs. Ich freue mich auf den Weg am See entlang und schnalle gerade den Strick zum Führen ein. „Mia, steigst du jetzt auch auf, wir müssen uns beeilen“ Die Ansage kommt von unserer Rittführerin Klara und ich verstehe zwar nicht, warum ich im Sattel schneller Schritt gehen kann, als wenn ich führe ABER ich denke für einen Tag hatte ich schon genug Streit und deshalb steige ich auf.

Als wir zur Uferpromenade kommen, sieht es noch genauso aus, wie ich es in Erinnerung hatte. Die Touristen genießen die Sonne und Eis, Radfahrer sind gemütlich unterwegs und wir wechseln auf den Grünstreifen (im Sommer die Liegewiese) damit alle Platz haben. Während ich mich noch freue, dass die Pferde keinen Asphalt unter den Hufen haben, sehe ich das Klara das Zeichen zum antraben gibt. Ok, ich finde es zwar sicherheits- und Fußgängertechnisch nicht so toll und etwas fragwürdig, da wir jedoch dem Zeitplan hinterherhängen und noch so eine weite Strecke vor uns haben ist ein langsamer Trab eine Option mir der man leben kann. Wir sind verantwortungsvolle Reiter und nehmen Rücksicht. Mein Gedanke ist noch nicht fertig gedacht, da wird aus dem langsamen Trab ein Galopp. Auf der Wiese prinzipiell kein Problem, aber ist das soziales Verhalten gegenüber den anderen Leuten die hier zu Fuß unterwegs sind? Ich habe keine Zeit um über den sozialen Aspekt nachzudenken, denn – für uns nicht sichtbar – gibt es hier noch Gullideckel und andere Hindernisse, die nicht ungefährlich sind, jedoch von unserer „Führungsspitze“ nicht beachtet werden. Lediglich von denen die gerade drüberstolpern wird es mit lautem „Vorsicht“ kommentiert, damit die nachfolgenden Reiter vorgewarnt sind. Es ensteht natürlich ein ständiges Abbremsen und Losstürmen und gerade für eine Stute ist diese Hektik zuviel und sie wird für die Reiterin immer schwerer zu handeln.

Ich beschließe mit meinem Buben erst einmal Abstand zu diesem Chaos zu halten. Damit geben wir uns die Möglichkeit zu sehen was auf uns zukommt und können ohne Stress folgen. Ich grinse entschuldigend die kopfschüttelnden Passanten an und wundere mich gerade nicht, warum wir Reiter so unbeliebt sind. Mein Pferd hält ruhig den Abstand und in diesem Moment bin ich ihm unsagbar dankbar für seine Ruhe in den richigen Situationen. Irgendwann haben wir auch diesen Abschnitt geschafft und kommen auf einen Fußweg der am See entlang führt. Seltsamerweise haben wir heute nur Strecken, die sich extrem in die Länge ziehen und so ist es auch hier. Nach einem Fußmarsch in dem mir immer der Liedtext von den Talking Heads durch den Kopf geht bin ich unsagbar erleichtert als endlich das Schild  Graun in Vinschgau auftaucht.

Nachdem wir Graun endlich erreicht haben, sind wir alle kurz überrascht. Den ganzen Tag wurde Druck gemacht und gehetzt und jetzt hat unsere Rittführerin ein Treffen mit dem Wirt unserer nächsten Unterkunft ausgemacht. Der bringt seine Tochter und jetzt wird diese aufs Pferd gesetzt und bis zur Unterkunft geführt. Ich finde die Geste schön, aber dem entgegen steht der Druck des ganzen Tages und die ständige Aussage, dass wir uns beeilen müssen. Wir haben keine Zeit um schöne Bilder vor der versunkenen Kirche im See zu machen, keine Zeit für ein Eis unterwegs, denn wir müssen uns ständig beeilen. Ich habe irgendwann an diesem Tag aufgehört, mir Gedanken zu machen, mich zu ärgern oder die Dinge in Frage zu stellen, blende alles aus und singe vor mich dahin: „We’re on a ride to nowhere, come on inside. Taking that ride to nowhere, we’ll take that ride. Maybe you wonder where you are, I don’t care… 😉

Körperlich merke ich, dass dieser Tag sowohl mich als auch den jetzt immer öfter lahmenden Soleo an die Grenzen bringt. Endlich das Ende des Sees zu sehen ist deshalb wie Weihnachten und Ostern an einem Tag. Jetzt kann es nicht mehr lang sein und tatsächlich wir erreichen nach kurzer Zeit den Gasthof. Wie schon seit Tagen verarzte ich mein Pferd mit einer Creme die mir Klara gegeben hat und das ist das eigentlich widersprüchliche. Manchmal so hilfsbereit und dann komplett ablehnend und ignorant. Ich habe heute keine Lust mehr über solche Dinge nachzudenken und mache mich mit Georg an die Arbeit. Den Paddockbau und das Verstauen aller Sachen finde ich an diesem Tag sehr anstrengend und ich bin froh als wir endlich unsere Zimmer beziehen können.

Was mich total glücklich macht ist der vertraute Südtiroler Dialekt und unser gemütliches Zimmer. Zum Essen gibt es heute etwas Deftiges und einen Abschluss mit hausgemachten Limoncello.

Nach diesem Tag möchte ich einfach nur noch meine Ruhe haben, aber noch vor dem Essen sucht Klara das Gespräch mit mir. Sie gibt zu, dass sie tatsächlich übersehen hatte, dass Karlheinz nicht am Pferd war und wohl etwas überreagiert hat. Ich finde es gut, dass sie das von sich aus sagt. Nachdem sie am Beginn des Rittes erzählt hatte, dass Karl-Heinz bei ihr reiten gelernt hat, lege ich ihr ans Herz ihren Schülern beizubringen, wie man sich richtig im Straßenverkehr verhält. Jetzt sagt sie, dass er nicht ihr Schüler ist, sondern nur 2 Pferde bei ihr gekauft hätte. Ich will das nicht mehr hinterfragen und nach einem Telefonat mit meinem Schatz gehe ich schlafen. Noch 2 Tage…

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