Der Start in den fünften Tag beginnt mit Nieselregen, schlechter Laune und einem Verlängerten… Der Versuch einer Mitreiterin einen normalen Kaffee durch 5 Espresso in einer Tasse auszugleichen, bringt uns zum Lachen, sie selbst kurz vor koffeinbedingtes Herzrasen. 😉 Man merkt an diesem Morgen deutlich, dass der Ärger von gestern an niemandem spurlos vorübergegangen ist. Das ungezwungene Verhalten der ersten Tage ist weg und weder die Rittführerin noch die Organisation machen den Ansatz das zu ändern.
Nach dem Frühstück gehen wir nach draußen, machen die Pferde fertig und bauen die Paddocks ab. Mittlerweile hat sich eine Art Routine eingestellt und Georg und ich arbeiten Hand in Hand. Die Arbeit ist schnell erledigt. Da mein Reitkumpel ein Gentleman ist, leiht er mir heute seine Regenhose. Damit bin ich gegen jegliche Erkrankungen geschützt, das Wetter kann mir nichts anhaben und wir haben bei meinem Kampf mit den Reißverschlüssen auch am frühen Morgen unseren Spaß.
Wie jeden Morgen kommt auch heute der Befehl zum Aufbruch und alle stehen bereit. Da wir mitten im Dorf sind und der Berufsverkehr rollt, ist es wichtig das wir alle zusammen bleiben. Einer unserer Mitreiter ist der Meinung, dass er ganz cool – so quasi im fliegenden Start – auf sein Pferd hechten kann. Er setzt an, während die ersten schon losgehen, schwingt nach oben und rutscht mitsamt Sattel am Pferdebauch entlang. Patricia steht in seiner Nähe, springt beherzt hinterher und versucht beide vor dem Absturz zu retten. Zugegeben sieht das ziemlich witzig aus 🙂 Ihre Aktion kann jedoch nicht verhindern, dass wir alle noch einmal stehen bleiben müssen und die Rittführung, zum ersten Mal an diesem Tag, von soviel Unprofessionalität genervt ist.
Der Reiter, Georg und ich haben beschlossen ihn in unseren Aufzeichnungen Karl-Heinz zu nennen, gehört jetzt aber eigentlich eher in die Gruppe rund um die Führung und das ist für diese eher schlecht. Jetzt ist die Verzögerung also fast selbst verschuldet. Leider bin ich mir ziemlich sicher, dass wir trotzdem noch genügend Gründe zum Lästern bieten. Erster Dorn im Auge ist die Tatsache, dass wir unsere Pferde zu Beginn und nach jeder Pause führen. Pferdefreundlich und partnerschaftlich finde ich, komplett übertrieben und unprofessionell finden andere. Ich bin froh, dass ich aus dem Alter raus bin, in dem ich mir die Meinung anderer Leute habe aufdiktieren lassen. Für mich ist mein Pferd kein Gebrauchsgegenstand sondern ein Partner und ich möchte mir die Leistungsfähigkeit über einen langen Zeitraum erhalten.
Am unverständlichsten ist bei diesem Ritt tatsächlich der Spruch „Dann hätte es kein Gaul werden sollen, wenn ich zu Fuß gehen muss!“ Für manchen handelt es sich wohl doch eher um ein Sportgerät. Ich kann manchmal nur schwer nachvollziehen, warum man sich generell aufregen muss. Wir beeinflussen weder das Tempo noch die Qualität des Rittes. Niemand muss auf uns warten und im Schritt führen wir genauso schnell, wie die anderen reiten. Zugegebenerweise führe ich zuhause nicht so oft und auch bei noch keinem anderen Ritt habe ich zwischen den Pausen so lange Strecken geführt, das mag aber auch daran liegen, dass ich in der Regel weder Fahrradwege noch Hauptstraßen als bevorzugte Strecke nutze.

…muss mal kurz mein „Sportgerät“ tanken 😉 Einmal Super bitte!
Wir folgen, wie erwartet, auch heute in großen Teilen einem Radweg und wenn wir den verlassen reiten wir (welch Wunder) durch Ortschaften. Das einzig Gute an dieser Vorgehensweise ist, dass ich sehe wie brav mein Pferd ist und wie souverän er die Gruppe von hinten schützt. Als ich einen LKW-Fahrer daran hindern will, noch näher aufzufahren und aggressiv auf ihn zureite, merkt er es nicht. Er lässt sein Fahrzeug rollen, während er Nachrichten in sein Handy tippt. Georg kommt uns zur Hilfe, damit der Fahrer endlich erkennt das der Arsch meines Pferdes nicht sein persönlicher Stoßdämpfer ist.
Wir biegen ab und müssen durch ein Firmengelände. Hier dürfen auf keinem Fall Hinterlassenschaften von Pferden liegen bleiben. Das heißt, die letzten müssen alles zur Seite schieben. Alle anderen reiten zügig durch und warten nach dem Durchqueren auf diejenigen die für Ordnung sorgen. Es geht los, alle reiten durch, die letzten machen sauber und die Rittführung reitet ohne zu stoppen weiter. Frei nach dem Adenauer-Zitat „Was kümmert mich mein Geschwätz von gestern.“ Wobei Adenauer ja eigentlich gesagt hat: „Was kümmert mich mein Geschwätz von gestern, nichts hindert mich, weiser zu werden.“
Wir schließen trabend auf und das ist nicht schwer, denn unser Weg führt uns direkt durch ein Rafting-Gebiet, das wir langsam durchreiten müssen. Die Rafter machen mit Sicherheit genauso viele Bilder von uns, wie wir von Ihnen. Witzig dabei, dass man aus deren Reihen hört welche Angst sie vor Pferden haben und das sie das nicht machen möchten, während ich mir wiederum denke, dass ich vor Angst sterben würde, wenn mich jemand in ein Schlauchboot setzen würde. So hat jeder die Begeisterung für seinen Sport und achtet den des anderen.
Nach dem Überqueren einer Brücke, kommen wir direkt an einen Bahnübergang. Die Schranke ist geschlossen und wir müssen warten. Der Güterzug ist vollbeladen mit Autos und donnert lautstark an uns vorbei. Nebenbei bemerkt ist dies Soleos erster direkter, vor allem so naher Kontakt mit Zügen und ich bin gespannt auf seine Reaktion. Er ist ruhig, interessiert und wartet geduldig bis der Zug vorbei ist und sich die Schranke wieder öffnet. Wir folgen einem Weg nach oben, bei dem wir einen schwindelerregenden Blick auf den Fluss haben. Ich dachte immer, dass ich schwindelfrei bin, aber hier wird mir auch komisch und ich beschließe lieber nach vorne zu schauen.
Es geht flott weiter und dann verreiten wir uns erneut. Anstatt den Weg um die Stadt herum zu nehmen, gehen wir mitten durch die Stadt. Der Berufsverkehr ist im vollen Gange und jede Menge genervter Autofahrer treffen auf einen Trupp Reiter, die mit ihrem Verhalten im Straßenverkehr, die Verwirrung komplett machen. Es wird fröhlich vorbei gewunken obwohl der Gegenverkehr von vorn schon zu sehen ist (zumindest aus Reiterhöhe), was aber nicht dazu führt, dass der entgegenkommende Verkehr aufgehalten wird. Dieses wenig sinnvolle Handeln hat zur Folge, dass die Autofahrer gezwungen sind, zwischen uns einzuscheren und es nur ihrem und wir unserem guten Karma zu verdanken haben, dass niemanden etwas passiert.
Lt. Straßenverkehrsordnung dürfen wir hier in Österreich nicht nebeneinander reiten. Das interessiert aber keinen und so reitet die Gruppe in „flexibler Breite“. Das Chaos vor und hinter uns wird immer größer und es fällt schwer, nicht einzugreifen. Es werden Straßen überquert ohne das jemand auf die nachfolgenden Reiter oder den Verkehr schaut und schön langsam komme ich zu der Überzeugung, dass ich einen Survival-Ritt gebucht habe. Ich sollte mir angewöhnen das kleingedruckte zu lesen…
Irgendwann haben wir es geschafft und setzen zu den letzten Metern vor dem Picknick an. Ein Teil von uns steigt ab und führt. Die Pferde haben gute Leistung gebracht und sich das verdient. Eigentlich kann ich nicht mehr, stampfe jedoch eingepackt in Georgs dicker Regenreithose bei steigenden Temperaturen neben meinem Pferd her und kämpfe mit dem Gefühl gleich einen Hitzschlag zu bekommen. Weil mein Pferd ein braver Kerl ist, zieht er mich tatsächlich am Halfter den Berg rauf. Ich weiß, dass es jetzt für einige von euch zu viel Vermenschlichung ist, aber ich denke es hat etwas damit zu tun, dass wir ein Team sind. Zuhause reißt er den Kopf weg, wenn ich ihn am Halfter führen will, hier lässt er es zu, macht die ganze Arbeit und schleift mich japsend und mit der Kamera in der Hand hinter sich her. Mein tolles Pferd! ❤
Wir kommen endlich an einer Parkbucht an und während die anderen ihre Pferde auf die oben gelegenen Wiesen bringen, bleibe ich mit Soleo unten und lasse ihn dort grasen. Er folgt nicht dem Drang bei der Herde zu sein, sondern akzeptiert, dass wir bleiben wo ich bleiben will. Für mich ist das ein absoluter Vertrauensbeweis und ich freue mich darüber.
Unsere Rittführung hat sich abseits gestellt und schweigt. Eines der beiden Mädels, die am Vortag voraus geritten waren und somit der angebliche Auslöser für die Zickerei waren, überrascht mich total. Sie geht auf die Dame zu, um alles aus der Welt zu schaffen. Sich zu entschuldigen, obwohl man keinen Fehler gemacht hat, nur um etwas Gutes für die Gruppe zu erreichen, das nenne ich Größe! Respekt vor ihr, denn das hätten die meisten von uns nicht getan.
Schade allerdings, dass die Angesprochene immer noch zickt und sich lieber im Status der Unverstandenen sonnt, anstatt die Chance wahrzunehmen die sich ihr hier bietet. Vielleicht ist es manchen Menschen einfach wichtiger sich in der Opferrolle zu sehen, anstatt zu versuchen über ihren eigenen Schatten zu springen. Für alles, was ihnen widerfährt, suchen und finden sie die Schuld bei anderen. Das ist für das unmittelbare Umfeld (also uns) mühsam, nervig und ärgerlich und führt dazu, dass man den Kontakt gerne meiden würde. In unserem Fall ist das schwierig, weil sie den Weg kennt oder sagen wir mal weil sie zumindest täglich die Information bekommt wo wir hinreiten sollen. Um von diesen Gedanken wegzukommen hole ich mir lieber einen Kaffee – es ist mein Urlaub…
Nach dieser eher seltsamen Pause geht es weiter. Wir müssen alle aufsteigen, denn es folgt ein steiler Aufstieg. Wir reiten durch ein Wäldchen und durch eine Wiese und dann erwartet uns eine gigantische Aussicht. Das erste Mal auf diesem Ritt hat das Wort „Alpenritt“ ein Bild für mich. Ich bin absolut beeindruckt von diesem Ausblick und kann mich nicht satt sehen. Es ist unglaublich wie wunderschön es hier ist und dann kommt eine Überraschung die mich hoffen lässt, dass es zwischenmenschlich zwar schwierig aber nicht ausweglos ist. Unsere Rittführung bringt uns zu einer kleinen Bäckerei und dort bekommen wir Eiscafé oder Kaffee am Pferd serviert. Ich merke, dass es emotional ein ständiges auf und ab ist, das manchmal sehr an den Nerven zerrt. Genau in diesem Moment, mit einem Eiscafé in der Hand und meinem Pferd vor mir ist es eher ein auf und als gnadenloser Optimist, hege ich immer noch die Hoffnung auf ein Happy End…
Nach unserem Kaffeestop und einem weiteren Aufstieg mit verdienter Fresspause für die Pferde, machen wir uns ein letztes Mal auf den Weg um unser heutiges Tagesziel zu erreichen. „Neu Amerika“ Dieser kleine Weiler erhielt seinen Namen bereits 1880. Der Hof wurde damals von einem Rückkehrer aus Amerika gekauft und auf den Namen getauft. Es ist wie die Ankunft in einer anderen Welt. Mitten im Wald steht die Farm und für unsere Pferde wurden heute die eigenen Vierbeiner auf die Koppel geschickt. Das witzige daran ist, dass wir uns total freuen, weil wir keine Paddocks aufbauen müssen, unsere Pferde aber extrem nervös sind weil sie sich nicht mehr alle sehen können. Der Ruf zum Gruppenbild erscheint mir schwierig umzusetzen, weil der Innenhof durch geparkte Autos und Anhänger sehr eng ist und wie auf Kommando beginnen die ersten Pferde nervös zu werden. Um dem aus dem Weg zu gehen, versuche ich im Hintergrund zu bleiben, was mir aber nicht wirklich gelingt. Eine Stute rennt rückwärts, mein Bub steht ihr im Weg, der Tritt sitzt – direkt auf das Sprunggelenk, er setzt das Bein nicht mehr ab. Von der Organisatorin kommt die Frage: Hat sie ihn getroffen? – Ja – Ja, das passiert schnell. Ansonsten kommt nichts…

Einritt in Neu-Amerika
Nichts, außer der Hilfe der Gruppe. Genau der Gruppe, der unsere sogenannte Rittführerin vorwirft keine Gruppe zu sein. Von ihnen kommt jeder und versucht seinen Teil beizutragen. Georg checkt mit mir den Bewegungsapparat, die Hufschmiedin holt aus ihrem Wunderkasten eine Creme die ich auftragen kann, jeder ist besorgt. Es geht hier nicht einmal so sehr um das medizinische Versorgen, sondern mehr um das Gefühl gut aufgehoben zu sein. Solche Unfälle können immer wieder passieren, schließlich haben wir es hier mit Lebewesen zu tun, die von Lebewesen geritten werden. Hier trifft niemanden die Schuld, aber es ist die Aufgabe des- oder derjenigen der den Ritt veranstaltet, sich um solche Dinge zu kümmern und dieses Gefühles zu vermitteln. Unser Trossfahrer ist derjenige, der weiß um was es geht und auch in diesem Fall eingreift. Nachdem sich die Aufregung gelegt hat und die Pferde versorgt sind, trinken wir den wohlverdienten Willkommensschnaps und nutzen die Zeit um uns ein bisschen umzusehen.
Neu Amerika ist wirklich einen Besuch wert. Es gibt hier viele witzige und interessante Kleinigkeiten zu entdecken. Witzige Schilder, außergewöhnliche Skulpturen und hervorragendes Essen. Der Besitzer erinnert ein wenig an Bud Spencer und macht uns allen resolut klar, dass er keinen Schmutz in seinem Haus mag. So sitzen wir mit Socken im Saloon und genießen zusammen den Abend. Ich bemühe mich heute, die Kluft zwischen den Fronten zu schließen. Leider klappt das nicht so gut wie ich mir das vorgestellt hatte. Dafür ist das Essen hervorragend und man kann im Leben halt nicht alles haben. Vielleicht ist es auch bei diesem Trip nicht mein Job, immer für Frieden zu sorgen. Im Gegenteil, anscheinend soll ich mich mal so richtig ausleben. Ich habe mich selten so aggressiv erlebt und erschrecke in manchen Situationen vor mir selbst. Gerade wenn es um die Nichteinhaltung aller Sicherheitsregeln geht, vergesse ich wirklich meine gute Erziehung und komme mir vor, wie einer der beiden nörgelnden Alten bei der Muppets-Show und das ist nur die schöne Variante. Der zweite am Balkon ist dann wahrscheinlich Georg, der ähnliche Probleme hat. Deshalb muss ich den anderen jetzt und hiermit sagen: Eigentlich bin ich total nett! 😉
Irgendwann erfolgt die Zimmerverteilung. Sie erfolgt nach einem System, dass wir nicht nachvollziehen können, hat aber zur Folge, dass 4 Mädels in einem Zimmer sind. Im Gegenzug gibt es noch ein Gruppenzimmer für die Männer und 2 Doppelzimmer. Bei uns Mädels dauert es ziemlich lang bis wir einschlafen können, weil wir soviel zu quatschen und zu lachen haben, aber auch darüber reden können wie die anderen den Ritt bewerten. Im Gegenzug dazu können die Herren zwar schnell einschlafen, dies aber nicht lange tun. Karl-Heinz braucht wohl wenig Schlaf und darunter müssen seine Mitschläfer leiden. Ob in diesem Fall wirklich geteiltes Leid, halbes Leid ist? Rücksichtnahme ist nicht jedermanns Sache.
Ich bin froh, dass wir soviel zu lachen haben, denn Neu-Amerika ist zwar schön und gepflegt, aber alles ist irgendwie klamm und feucht. Das mag vielleicht daran liegen, dass die Ranch direkt zwischen hohen Bergen steht, es ist auf jeden Fall unangenehm. Ich schmeiße mich in meine Jogginghose den Kapuzenpulli und die dicken Wollsocken und versuche es zu ignorieren. Es ist nur eine Nacht und die kann ein Wanderreiter fast überall aushalten. Für mich persönlich heißt das: Besser feucht und klamm als schmutzig und Spinnen und so schaffe ich es anscheinend irgendwann so müde zu sein das ich einschlafe…