DIE ALPENÜBERQUERUNG – DER 7.TE REITTAG – Teil I

Ich starte am frühen Morgen und fahre mit Katrin zum Stall. Heute ist improvisieren angesagt, denn vor uns liegt der Ritt durch den Reschentunnel und hierzu ist es wichtig, dass die Pferde den richtigen Halt haben. Wir können es uns nicht leisten ohne die wichtigen Widia-Stifte zu reiten. Katrin hämmert die abgebrochenen raus, baut neue rein und schon ist mein Pferd bereit, für den anstrengenden Tag der vor uns liegt.

Laut Veranstalter wird dies heute der schlimmste Tag, weil wir zu 80% auf der Teerstraße sind. Ich denke, dass dies keinen großen Unterschied macht, da wir auch bisher überwiegend auf Fahrradwegen unterwegs waren (also ebenfalls asphaltierten Wegen) und der einzige Unterschied heute der sein wird, dass wir schnell durch den Tunnel kommen müssen. Es geht noch einmal kurz zurück in unser Hotel zum Frühstück und dann kann es losgehen. Wir starten mit dem unvermeidlichen Jagdhorn und mittlerweile finde ich es witzig. Alle Pferde haben sich daran gewöhnt und so gibt es keine nervösen und tippelnden Pferde mehr. Wir ziehen los und mir fällt auf, dass wir nicht mehr die  Einzigen sind, die ihr Pferd zu Beginn führen.

Wir gehen durch ein schönes Dorf und genießen die Häuser, das Bergpanorama und auch die geschnitzten Figuren. Soleo hat sich abgeregt und dankenswerter Weise seine Holzphobie wieder vergessen.  😉

Als wir alle an einer stark befahrenen Hauptstraße stehen und auf eine Möglichkeit zum Überqueren warten, ertönt der Ruf „Alle aufsteigen, jetzt!“ Georg sieht mich irritiert an. Da wir jedoch niemanden aufhalten wollen, fragen wir nicht nach und steigen auf. Bis 6 Reiter am Pferd sind, dauert es eine Zeit und weil wir nicht alleine auf dieser Welt sind und hinter uns Autos warten, verzögern wir mit diesem Manöver, nicht nur für uns, die Überquerung der Straße.Die Pferde fangen an zu tippeln, weil sie nicht wissen wie sie die plötzlich auftretende Hektik bewerten sollen und wir stehen alle auf engstem Raum, zwischen Hauptstraße und nachfolgenden Verkehr gequetscht. Irgendwann kommt der nächste Schrei und wir sollen losstürmen wie die Kavallerie bei der Schlacht am Little Bighorn.  Das Chaos das dabei entsteht, dürfte übrigens ähnlich gewesen sein.

Da der eher halbherzige Versuch die Autos von beiden Seiten zu stoppen nicht erfolgreich war, kommt jetzt nämlich die Holzhammermethode: Augen zu und durch. Wir sind wie immer hinten und können es nicht fassen, während ich immer noch die „Los, Los!!!“ Rufe höre. Ich hänge an meinem Leben und der Rest tut dies anscheinend auch und so warten wir lieber bis der Verkehr steht, stürmen dann aber sofort pflichtbewusst hinterher. Wir wollen die Aktion ja nicht unnötig verzögern, denn wenn es so wichtig ist aufzusitzen, wird das seinen Grund haben. Vermutlich müssen wir dieser Straße längere Zeit folgen. Der Gedanke ist noch nicht zu Ende gedacht, da biegen wir schon auf einen Wiesenweg ab. Und wegen dieser paar Meter der ganze Aufstand?

„Warum muss ich an einer gefährlichen Stelle aufsteigen um die Straße zu überqueren?“ kommt es fragend von Georg. Ich überlege kurz und antworte dann „Vermutlich damit du besser aussiehst wenn dich ein Auto überfährt. Auf dem Pferd sitzend wirkst du gleich viel heldenhafter, als Fußgänger ist das nicht so spektakulär!“ Die Antwort gefällt ihm und lachend reiten wir den Wiesenweg entlang. Manche Dinge darf man einfach nicht ernst nehmen.

Es geht weiter, wieder einmal auf dem Radweg und neben der Schnellstraße. Der Weg zieht sich endlos dahin und das Wetter wechselt ständig zwischen sonnig, kühl und dann wieder windig. Nach diesem eher anstrengenden Stück kommen wir im Anschluss zu einem wunderschönen Teil der Strecke. Die Grenzfeste Altfinstermünz. So finster wie sich das anhört ist es jedoch gar nicht, sondern sehr beeindruckend. Es handelt sich um die ehemalige Zollstation und bei Nauders führt die Brücke über den Inn. Inmitten des Inns steht der alte Klausenturm mit der Holzbrücke, die ein Bindeglied zwischen Tirol und dem Engadin bildet. Seit der Römerzeit führt der Weg der Via Claudia Augusta hier durch und es beeindruckt einerseits durch den laut rauschenden Fluss und andererseits durch die einfache Schlichtheit.

Reiterlich ist meine Herausforderung, dass Soleo warten muss, bis alle Pferde über die Brücke und durch das Tor im Turm gegangen sind und er dann erst folgen darf. Er ist nervös und tänzelt, aber das ist auch verständlich. Es ist extrem laut und alle Kumpels sind außer Sichtweite, er schafft es trotzdem wieder ruhig zu werden und abzuwarten. Ein tolles Gefühl, als er dann nicht hinterher stürmt sondern im normalen Tempo über die Brücke geht und mir die Gelegenheit gibt, das alles bewusst wahrzunehmen. Einziger Wermutstropfen an diesem Ort: Katrins Handy fällt runter und sie hat nicht nur die unvermeidliche Spider-App, sondern einen kompletten Totalschaden…

Wir reiten weiter und kommen dann zu der Abzweigung, die wir nehmen müssen um den alten und mittlerweile gesperrten Reschentunnel zu erreichen. An diesem müssen wir pünktlich sein, weil wir dort von der Polizei abgeholt werden, die uns wiederum durch den aktiven Teil des Tunnels geleitet und den Verkehr für uns stoppt. Den Zugang zu dem Weg den wir jetzt reiten müssen, hat jedoch jemand mit großen Steinen versperrt. Vermutlich, weil der Weg nicht benutzt werden soll…

Wir beginnen zumindest so viele Steine beiseite zu schaffen, dass wir  irgendwie mit den Pferden über diesen Haufen klettern können. Als das gelungen ist, erklimmen die Pferde einen steilen Serpentinen-Fußweg nach oben und er ist teilweise so schmal, dass es an ein Wunder grenzt, dass hier nichts passiert.

Endlich oben angekommen kommt man sich vor, wie in einem Endzeitfilm aus den 80ger Jahren. Dort wo einst die Straße war, die alle sonnenhungrigen Bayern nach Italien geführt hat,  liegt jetzt Schmutz, Felsbrocken und Geröll. Wegen der Steinschlaggefahr ist es vorgeschrieben, dass wir in den Tunnel reiten und dort warten bis die Polizei kommt. Das gibt mir Zeit mich umzusehen. Wasser läuft von der Decke, es ist eiskalt und es herrscht ein bedrückendes Gefühl, aber es ist ein Abenteuer und man kann nicht leugnen, dass die Spannung mit jedem Moment wächst.

Leider kommt unser Geleitschutz zu spät. Um genau zu sein, lassen sie uns 1 1/2 Stunden warten. Das Gute daran ist, dass unsere Versorgung gut funktioniert und das Picknick vorgezogen wird. Das bedeutet, dass ich zwar immer noch friere, aber wenigstens keinen Hunger mehr habe.

Dann geht alles ganz schnell. Die Polizei ist da und das einzige was wir mitbekommen ist, dass die Beamten sehr darauf drängen, dass wir Gas geben sollen. Am liebsten wäre es ihnen, wenn wir im Galopp durch den Tunnel rasen würden. Ein zuverlässiges Pferd muss nach hinten und so reihe ich mich mit meinem Buben hinter den anderen ein. Dieses Mal sind wir aber nicht allein, denn Patricia ist mit ihrem Paul bei uns.

Unser Job ist es, alles von hinten zu sichern. Eigentlich kein Thema, aber mein Pferd verpasst den Anschluss. Schließlich muss er erst einmal schauen, was da hinter uns so blinkt und warum die fremden Leute da stehen. Das doch sehr laute Klappern der Hufe auf der Straße weckt ihn wieder auf und lässt ihn erkennen, dass die Kumpels schon gestartet sind. Nach den ersten Schrecksekunden beruhigt er sich und los geht es. Der Tunnel ist anfänglich offen und schließt sich dann komplett. Im flotten Trab schießen wir in den dunklen Teil und das ist einfach Adrenalin pur.

Ich glaube genau für diese Momente hat sich sämtlicher Ärger und Stress gelohnt. Im Tunnel stehen Bauarbeiter mit ihren Lampen und man sieht ihnen ganz deutlich an, dass man so etwas hier auch nicht oft sieht. Einige filmen, andere winken, ich bin geflasht und merke, dass ich das breite Grinsen in meinem Gesicht nicht verändern kann.

40 Eisen klappern durch den Tunnel, das Geräusch ist beeindruckend und man muss begeistert und glücklich sein. Die Endorphinausschüttung ist in vollen Gang und so viele Glückshormone beflügeln. Wir kommen an den Autos vorbei, die wegen uns warten müssen und man merkt, dass der Funken überspringt. Jeder winkt und lacht und ich glaube, dass wir während der ganzen Reise nicht einmal so gesammelt glücklich waren. Dieses Erlebnis verbindet definitiv und wir alle sind so wahnsinnig stolz.

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Karlheinz hat im Tunnel sein Stallhalfter verloren und die Veranstalterin bringt es ihm nach. Deshalb steigt er ab und verstaut es wieder auf seinem Pferd. Dann sitzt er wieder auf. Karlheinz wäre aber nicht Karlheinz, wenn das alles wäre.

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Aber die Geschichte wie ich zum ersten Mal in meinem Leben komplett die Beherrschung verliere und das Bedürfnis habe mich zu prügeln kommt im nächsten Teil…

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